Einer gegen den Trend - Eine Reportage von Moritz Hauck

03. Dezember 2014

Die SPD in Weilheim wird von Nachwuchssorgen geplagt – nur der 18-jährige Lucas Fritzsche ist ein Lichtblick in den dunklen Zeiten der politischen Vergreisung

Weilheim ─ Ein kleiner Raum im Keller einer Bar in der oberbayerischen Kreisstadt Weilheim, es riecht etwas streng nach Bier. Hier trifft sich der harte Kern des örtlichen SPD-Ortsvereins zur monatlichen Sitzung. Zwei Tische reichen aus, damit jedes Vorstandsmitglied einen Platz findet. „Sie wollen etwas über die Nachwuchsprobleme von Parteien schreiben? Da sind Sie bei uns ja genau richtig“, sagt einer der Anwesenden und erntet dafür schallendes Gelächter. Tatsächlich besteht die diskussionsfreudige Runde überwiegend aus Mitgliedern der Altersklasse „50 plus“, die junge Generation der Partei wird nur durch Schriftführer Dominik Hey (um die 30) repräsentiert.

Die Weilheimer SPD steht exemplarisch für die Nachwuchsprobleme, mit der die etablierten Parteien in Deutschland seit vielen Jahren zu kämpfen haben. Ende 2012 waren lediglich 7,4 Prozent der Sozialdemokraten zwischen 14 und 30 Jahre alt, nur bei der CDU/CSU sind es noch weniger. Auf der anderen Seite sind 50,5 Prozent der SPD-Mitglieder 60 Jahre oder älter, verglichen mit den siebziger Jahren hat sich dieser Anteil fast verdreifacht. Übertroffen wird die Partei in dieser Kategorie nur von den Linken. Zwar werden die Menschen in Deutschland immer älter, zudem ist die Geburtenrate im Vergleich zu früheren Jahrzehnten drastisch zurückgegangen. Doch die zunehmende Vergreisung der Politik nur mit dem demografischen Wandel zu begründen, greift nicht weit genug. „Jugendliche sehen ihre Interessen durch die Aktiven der Politik nicht vertreten“, sagt Petra Arneth-Mangano, seit 2013 erste Vorsitzende des Weilheimer Ortsvereins. „Sie trauen Politikern nicht zu, Politik für oder auch mit Jugendlichen zu machen und verlieren schneller die Hoffnung auf Veränderungen.“ Zudem werde Politik als eine Sache der Erwachsenen gesehen, auch deshalb hielten sich junge Leute in solchen Angelegenheiten lieber zurück.

Doch die 55-jährige weiß jemanden in ihren Reihen, der so gar nicht ins Schema der politikverdrossenen Jugend passen will. Der sitzt jetzt in einem Café in der Weilheimer Innenstadt und bestellt sich erstmal ein großes Frühstück. Lucas Fritzsche ist 18 Jahre alt, angehender Abiturient und schon stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins. Er sieht etwas älter aus, und wenn man sich mit ihm unterhält, scheint es, als rede da einer, der gerade sein Studium abgeschlossen hat. Nach einem Praktikum bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung während eines zweijährigen Aufenthalts in Ghana setzte er sich in Deutschland mit dem Programm der Sozialdemokraten auseinander und trat schließlich 2012 der Partei bei. „Mir haben die Grundwerte zugesagt“, erklärt er und nippt an seinem Spezi. Einmal in der Partei, fiel ihm auf, dass die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, im Landkreis nicht einmal mehr richtig existierten. Also gründete er kurzerhand einen neuen Juso-Verband, den er zu Beginn auch als Vorsitzender führte. „Am Anfang war's schon schwer, wir hatten fast keine Leute“, erinnert sich Lucas. Dies habe unter anderem daran ge- legen, dass die Jusos sehr studentisch geprägt seien und die Mitglieder deshalb überwiegend in größeren Städten wohnen. Dementsprechend schwierig sei es gewe- sen, in einer ländlicheren Region wie dem Pfaffenwinkel junge Menschen für die Jusos zu gewinnen. Doch sein Engagement hat sich ausgezahlt. Mittlerweile zählen die Jusos Weilheim-Schongau 40 Mitglieder und stellen seit Frühling dieses Jahres mit Markus Bader in Rottenbuch auch einen der jüngsten Bürgermeister Bayerns. Lucas Fritzsche ist heute zweiter Vorsitzender und stellt klar: „Während der letzten eineinhalb Jahre haben wir auf jeden Fall etwas bewegt!“ Doch natürlich ist sich der 18-jährige der Tatsache bewusst, dass er ein Ausnahmefall in der Kommunalpolitik ist. „Ich bin mit Abstand das jüngste Mitglied im Ortsverein, und ganz am Anfang wurde ich noch kritisch von den älteren Genossen gesehen. Auch, weil ich gleich von Beginn an offensiv meine eigene Meinung vertreten habe“, erzählt er. Doch mittlerweile gebe es keine Probleme mehr; den anderen Mitgliedern sei eine Sicht aus jüngerer Perspektive sehr wichtig und es werde alles getan, um die jungen Leute zu halten.

Doch warum ist es nicht nur in Weilheim so schwierig, junge Leute für eine akti- ve Mitgestaltung der Politik zu begeistern? „Die Hürde, die man für ein politisches Engagement überwinden muss, ist sehr hoch“, sagt Lucas Fritzsche. „Vielen ist der Aufwand, den eine solche Aufgabe mit sich bringt, auf Dauer zu groß.“ Auch der Freundeskreis spiele eine große Rolle, Politik sei unter Jugendlichen alles andere als angesagt. Sprüche wie „Was, du bist bei der SPD, was willst du denn da? Da sind doch nur alte Leute.“ müsse man hinnehmen. Des Weiteren sei es ein Problem, dass junge Menschen nicht die direkten Auswirkungen von Politik sehen.

Auch Lucas gibt zu, dass Kommunalpolitik bisweilen sehr eintönig sein kann, wenn mal wieder stundenlang Anträge abgearbeitet und Ehrungen geplant werden. Trotzdem macht ihm die Arbeit enorm viel Spaß. „Ich finde es cool, direkt mitgestalten zu können und eigene Veranstaltungen zu organisieren, wie zum Beispiel eine Podiumsdiskussion mit Asylbewerbern. Und wenn ich etwas gemacht habe, hat es eigentlich auch immer funktioniert, daraus ziehe ich meine Motivation“, sagt er. Motivation, an der es einer überwältigenden Mehrheit der Weilheimer Jugendlichen zu mangeln scheint. „Die klagen ständig, dass in Weilheim nichts los sei. Aber auf die Idee, etwas dagegen zu tun, kommt keiner von ihnen“, kritisiert Lucas.

Im Jahr 2000 schien Besserung in Sicht, als eine Jugendvertretung ins Leben gerufen wurde, die im Weilheimer Stadtrat mit konstruktiven Vorschlägen und Anre- gungen versuchte, den Jugendlichen der Stadt eine Stimme zu geben. Doch heute zeugen nur noch vergilbte Zeitungsaus- schnitte und alte Sitzungsprotokolle von diesem Projekt; es wurde nach einigen Jahren mangels Nachwuchskräften eingestellt.

Wie kann es heute also gelingen, mehr junge Menschen dazu bewegen, sich politisch zu engagieren? „Wenn ich das wüsste, wäre das der Nummer 1-Gewinn“, sagt Petra Arneth-Mangano. „Zwar sind wir im Ortsverein sehr bemüht, Jugendliche für die Parteiarbeit zu begeistern und ihre Themen anzusprechen. Es kommen auch immer wieder junge Menschen auf mich zu und fragen, wie sie in der Politik mitmachen könnten. Allerdings schreckt das kontinuierliche und arbeitsintensive Wirken in einer Partei viele ab.“ Spricht man die Vorsitzende auf ihre Nachwuchshoffnung im Vorstand an, kommt sie ins Schwärmen: „Lucas Fritzsche ist ein Ausnahmetyp, der seine Aufgaben mit großem Einsatz und Verstand anpackt. Schon jetzt ist er eine unersetzliche Stütze in unserem Ortsverband, und ich hoffe, dass er auch durch gelegentliche frustrierende Erlebnisse nicht abgeschreckt wird und dabei bleibt.“ Diese Hoffnung wird sich für Arneth-Mangano zumindest für das kommende Jahr erfüllen. So lange will sich Lucas auf jeden Fall noch in der Weilheimer SPD engagieren, auch wenn die politischen Ak- tivitäten vor und während dem Abitur nicht mehr oberste Priorität genießen werden. Wenn das Kapitel Schule beendet ist, will er sich für den gehobenen Dienst beim Auswärtigen Amt in Berlin bewerben. „Allerdings sind die Plätze dort sehr begehrt; sollte das nicht klappen, kann ich mir auch eine Ausbil- dung durchaus vorstellen“, sagt der 18- jährige. Eine Parteikarriere schließt er nicht kategorisch aus, aber „ich sage auch nicht: Ich will in 10 Jahren im Bundestag sitzen.“

Der Ortsverein der Weilheimer Sozialdemokraten wird also in absehbarer Zukunft auf sein jüngstes Gesicht verzichten müssen. Lucas Fritzsche allein vermag das Nachwuchsproblem der SPD Weilheim und der Politik im Allgemeinen nicht zu lösen. Doch er beweist nachdrücklich, dass sich Jugendlichkeit und politisches Engagement nicht kategorisch ausschlie- ßen. Es ist nun an den anderen jungen Leuten im Landkreis, seinem Beispiel zu folgen und sich einzumischen in die Tagespolitik. Damit Menschen wie Lucas Fritzsche zukünftig keine Ausnahmeerscheinung in der Politik darstellen. Und damit die Frage nach Nachwuchskräften in Ortsverbänden bald kein Gelächter mehr auslöst.

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